Kultursaat e.V. – Für die Sortenvielfalt im ökologischen Gemüselandbau

Der Kultursaat e.V. setzt sich seit Anfang der 1990er für die Sortenvielfalt im ökologischen Gemüselandbau ein. Im Interview erfuhr Farmitoo mehr über die Grundsätze und Aktivitäten des Vereins.

Können Sie den Verein Kultursaat bitte in einigen Worten beschreiben (Ziele, Gründung, Team, Ort, …)?

Zu den Hauptzielen des gemeinnützigen Vereins zählt die Entwicklung qualitativ hochwertiger, robuster und auskömmlicher nachbaufähiger Sorten für den ökologischen Gemüsebau sowie die Erforschung auf den Ökolandbau hin orientierter Züchtungsmethoden. Mit unserer Arbeit wollen wir vielfältige biologisch-dynamisch gezüchtete und erhaltene Sorten als Alternativen zu den weit verbreiteten Hybriden und konventionellen Züchtungen anbieten – und damit langfristig zur Unabhängigkeit des Ökolandbaus von Agrochemiekonzernen beitragen. Darüber hinaus ist es uns ein Anliegen, Wissen und Erfahrung im Bereich der Pflanzenzüchtung weiterzugeben und die Gesellschaft zu informieren. Daher treiben wir Öffentlichkeitsarbeit und bieten eine eigene Fortbildung (link) an.

Kultursaat e.V. wurde 1994 von einer Gruppe biologisch-dynamischer Gärtnerinnen und Gärtner gegründet. Sie trafen sich seit den 80er Jahren (link), weil sie schon damals über die Entwicklung im zunehmend globalen Saatgut-Sektor besorgt waren. Die voranschreitende Hybridzüchtung brachte Hochleistungssorten mit meist beeindruckenden Erntemengen und zuvor nicht dagewesener Uniformität auf den Markt. Gleichzeitig war ein dramatischer Verlust an Sortenvielfalt und Nahrungsqualität zu beobachten und die Abhängigkeit von Agrochemiekonzernen (link) wuchs. In dieser Situation wurde die Notwendigkeit einer eigenständigen ökologischen Züchtung immer deutlicher.

Mittlerweile züchten und forschen wir unter dem Dach des Vereins dezentral und „on-farm“ auf etwa 30 Betrieben (link) in Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden. In unserem Netzwerk stehen alle Züchterinnen und Züchter in regem Austausch miteinander, und ein fünf-köpfiges Team koordiniert in unserer Geschäftsstelle mit Sitz in Bingenheim bei Frankfurt/Main viele der Vereinsaktivitäten. Innerhalb kulturartspezifischer Fachgruppen tauschen wir Fachwissen, Erfahrungen aber auch Zuchtmaterial aus und evaluieren die über 300 laufenden Projekte. In diesen partnerschaftlichen Strukturen entstehen an vielfältigen Orten und durch individuelle Ansätze unsere Sorten (link) mit Charakter.

Mit Ihrem Verein verfolgen Sie das Leitbild der biologisch-dynamischen Gemüsezüchtung. Was heißt das für Ihre konkrete Züchtungspraxis?

Grundlage unserer Züchtungsarbeit ist die Biologisch-Dynamische Wirtschaftsweise. Die Pflanze betrachten wir als lebendiges Wesen, das in Wechselwirkung mit seiner Umgebung steht und über die rein stoffliche Ebene hinaus von Lebenskräften erhalten und gestaltet wird. Wir begegnen der Pflanze respektvoll, achten ihre Integrität und versuchen, sie umfassend zu fördern. Gemäß dieser Logik lehnen wir biotechnologische und gentechnische Verfahren ab. Die praktische Züchtungsarbeit findet in biologisch-dynamisch bewirtschafteten Zuchtgärten statt, wo wir mittels klassisch- züchtungshandwerklicher Methoden mit Pflanzen praktisch aller im hiesigen Gemüsebau relevanter

Arten kreuzen und selektieren. Darüber hinaus forschen wir an neuen Methoden im Umgang mit Kulturpflanzen, wie beispielsweise Behandlungen mit Klängen oder Meditation.

Einen besonderen Anspruch haben wir hinsichtlich der inneren Qualität unserer Sorten. Sie sollen nicht nur den Magen füllen, sondern schmackhaft und bekömmlich (link) sein und den Menschen in erweitertem Sinne nähren. Unser Qualitätsverständnis reicht dabei von agronomischen und sensorischen Eigenschaften über die inhaltstoffliche Zusammensetzung bis hin zur Ausgestaltung und Intensität der Lebenskräfte. Um diesem Ziel näher zu kommen, verfolgen wir eine strenge Geschmacksselektion im Zuchtgang und führen Qualitätsuntersuchungen unter anderem mit sog. Bildschaffenden Methoden (link) durch.

Auf welche Station Ihrer Vereinsgeschichte sind Sie besonders stolz?

Jede einzelne der behördlichen Sortenanmeldungen war eine wichtige „Station“ auf unserem Weg zu einem möglichst breiten Angebot für den vielseitigen ökologischen Gemüsebau. Innerhalb unserer 25-jährigen Vereinsgeschichte wurden bereits über 80 Sorten vom Bundessortenamt zugelassen! Mehrere Sortenkandidaten befinden sich derzeit in der Zulassungsprüfung und auf den Kultursaat- Zuchtstandorten wird mit ungeminderter Intensität weitergearbeitet.

Besonders hervorzuheben ist die Zulassung der Möhrensorte Rodelika (link) im Jahr 1998. Aufgrund ihrer hervorragenden Geschmackseigenschaften ist sie zu unserer bekanntesten Sorte geworden und wird von Anbauern und Verarbeitern aber auch von Kleingärtnern und Endkunden rege nachgefragt.

2015 gelang uns mit der Zulassung der Zucchinisorte Serafina (link) ein erfreulicher Erfolg bei einer von Hybriden dominierten Kulturart. Serafina war die erste samenfeste (= nachbaufähige) Zucchini seit den 1980er Jahren, die die Zulassungsprüfung erfolgreich durchschritt.

1996 und 2000 waren bereits zwei unserer Zucchini-Züchtungen wegen unzureichender Einheitlichkeit abgelehnt worden. Das lag insbesondere an derfehlenden Erfahrung der Prüfer (link) mit samenfesten Sorten. Im direkten Gespräch und bei gemeinsamer Besichtigung der konventionellen Prüfanbaubestände in Südfrankreich konnten wir unser Anliegen schließlich vermitteln, die Prüfkriterien an die Besonderheiten samenfester Sorten anzupassen.

Auch bei Brokkoli hatten wir einen durchaus erwähnenswerten Erfolg. Bei diesem Gemüse entsteht für den verbandorganisierten Ökolandbau zunehmend ein Sortenengpass, weil die klassischen Hybriden durch zellfusionsvermittelte CMS-Hybriden (link) ersetzt werden. Diese sind in den Ökoverbänden nicht erlaubt, und samenfeste Alternativen fehlen. In einem großangelegten, vom Bundeslandwirtschaftsministerium geförderten Brokkoli-Züchtungsprojekt (link) arbeiteten wir in Kooperation mit Universität Hohenheim intensiv an der Weiterentwicklung von wohlschmeckenden Zuchtlinien in Richtung neuer samenfester Sorten. Daraus ist die 2018 zugelassene Sorte Rasmus hervorgegangen, die bereits Einzug in den Öko-Erwerbsanbau findet.

Möchten Sie über ein weiteres Thema sprechen, welches Kultursaat e.V. charakterisiert?

Pflanzenzüchtung sehen wir als Kulturaufgabe an und Sorten als Gemeingut. All‘ unsere Kulturpflanzen sind über Jahrtausende durch Anbau und Auslese des Menschen entstanden und weitergegeben worden. An diesen Strom möchten wir anknüpfen, indem wir die Sortenvielfalt erhalten, weiterentwickeln und der Gesellschaft uneingeschränkt zur Verfügung stellen. Kultursaat

bildet den organisatorischen und rechtlichen Rahmen für unsere Arbeit, die wir bewusst frei von Profitinteressen halten. Durch finanzielle Unterstützung in Form von Spenden, Zuwendungen und Projektförderungen ermöglicht uns die Gesellschaft diese Aktivitäten. Wir verzichten auf Eigentumsrechte wie Sortenschutz und Patente (link); das heißt: die von uns entwickelten Sorten sind nicht unser Eigentum, sondern wir verantworten sie. Stellvertretend für die einzelnen Züchter bringt der Verein die Neuzüchtungen zur behördlichen Anmeldung, damit deren Saatgut legal vertriebsfähig ist. Auch wenden wir keine den Nachbau einschränkenden Züchtungsmethoden an. So können die von uns entwickelten Sorten nachgebaut, züchterisch weiter bearbeitet und vermarktet werden.

Unsere Arbeit verstehen wir als gemeinnützig, deshalb streben wir ein hohes Maß an Nachvollziehbarkeit über unsere Aktivitäten an. Diesem Leitgedanken folgend dokumentieren wir den Züchtungsprozess und veröffentlichen den Werdegang jeder Sorte nach erfolgreicher Zulassung (durch das Bundessortenamt) auf unserer Website.

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