Interview mit Ulf Schönheim, Vorstand der Regionalwert AG Hamburg.
Herr Schönheim, was genau macht die Regionalwert AG Hamburg?
Die Regionalwert AG Hamburg sorgt für eine enkeltaugliche regionale Land- und Lebensmittelwirtschaft in der Region rund um Hamburg. Dazu gehören Schleswig-Holstein, das westliche Mecklenburg und das nördlichen Niedersachsen.
Wie funktioniert das genau?
Wir geben regelmäßig nicht börsennotierte Aktien aus. Wir nennen sie Bürger-Aktien, denn die die Bürgerinnen und Bürger der Region sind unsere Hauptzielgruppe. Die Mittel, die wir dadurch einnehmen, investieren wir als Eigenkapital in die gesamte Wertschöpfungskette der regionalen Land- und Lebensmittelwirtschaft: Bauernhöfe, Lebensmittelhandwerker, Lebensmittelhändler und Gastronomiebetriebe. Weitere Betriebe schließen sich über einen schlanken Lizenzvertrag dem Netzwerk an. Mittlerweile haben wir 13 Partnerbetriebe, und regelmäßig kommen neue dazu.
Und die Betriebe arbeiten dann zusammen?
Genau. Unsere Partner verpflichten sich auf ökologische und soziale Kriterien – und darauf, eng kooperieren und sich untereinander Produkte abzunehmen. Im herkömmlichen System ist der Landwirt ja immer am Ende der finanziellen Nahrungskette. Da wollen wir gemeinsam raus.
Viermal im Jahr sitzen alle an einem Tisch und besprechen: Wer kann was für wen anbauen, verarbeiten, vermarkten? Wer braucht welche Produkte in welchen Mengen? Wie bekommen wir sie von A nach B? Welcher Betrieb hat vielleicht ein Abfallprodukt, was für den anderen ein Rohstoff ist? So soll zum Beispiel ab August der Brautreber vom Wildwuchs Brauwerk – Hamburgs erster Biobrauerei – direkt zu den Öko-Melkburen gehen, als Rinderfutter.
Das Ziel: ein Netzwerk vom Acker bis zum Teller, mit den Landwirten auf Augenhöhe mit der gesamten Wertschöpfungskette. Mit Kooperation statt Konkurrenz und Kostendruck, getragen von den Bürgerinnen und Bürgern. Die ja nicht nur Geldgeber sind, sondern natürlich Kunden.
Und welche Vorteile haben die Aktionäre sonst noch?
Sie helfen, die Land- und Lebensmittelwirtschaft so zu gestalten, dass sie auch in 30, 40 odre 50 Jahren noch funktionieren kann. Und sie bekommen natürlich den direkten Kontakt zu Landwirten, Lebensmittel-Handwerkern, Händlern und Gastronomen – mit vielen Veranstaltungen und Einladungen. Das ist vielen sehr wichtig!
Auf unserer jährlichen Hauptversammlung stellen die Partner sich und ihre Betriebe vor, die Aktionärinnen und Aktionäre bekommen eine kleine Dankeschön-Tüte mit Erzeugnissen mit, und wir machen ein Grillbüffet mit Partner-Produkten.
Darüber hinaus erzielen die Aktionärinnen und Aktionäre eine gesellschaftliche Rendite: ökologisch, sozial, regionalökonomisch. Die weisen wir ihnen jedes Jahr nach, mit einem Bericht. Die Hauptfrage der Aktionäre ist übrigens: Wo kann ich die Produkte kaufen?
Interessant. Keine Frage nach der finanziellen Dividende?
Nein, da sind wir eine sehr untypische Aktiengesellschaft! Letztes Jahr haben wir eine Umfrage unter unseren Aktionärinnen und Aktionären gemacht: Ökologische Faktoren sind für 91 Prozent wichtig, soziale Faktoren wie eine faire Bezahlung und Ausbildung junger Menschen für 84 Prozent. Finanzielle Dinge haben für unsere Aktionäre allenfalls eine mittlere Priorität.
Klar: Wir wollen auch irgendwann mal Überschüsse erzielen. Aber das wird noch ein bisschen dauern, denn wir sind ja selbst noch im Aufbau. Wenn es soweit ist, entscheiden die Aktionäre mit, was wir mit dem Geld machen wollen. Also auszahlen oder wieder investieren. Oder, mein Lieblingsvorschlag: eine große Feier damit machen!
Sie sagen, sie sind noch im Aufbau. Seit wann gibt es denn die Regionalwert AG Hamburg, und woher kommt die Idee?
Unser Vorbild ist die Regionalwert AG Freiburg, die seit 2006 aktiv ist. Unsere Regionalwert AG Hamburg haben wir 2014 gegründet, mit 45 Bürgerinnen, Bürgern und Organisationen aus der Region. Darunter waren zahlreiche Landwirte, aber auch Unternehmen wie Budnikowski und Voelkel. Nach zwei öffentlichen Aktienausgaben haben wir ein Grundkapital von 1,3 Millionen Euro und rund 350 Aktionärinnen und Aktionäre. Bürgerinnen und Bürger machen den Großteil aus, darunter sind aber auch Stiftungen wie die Bewegungsstiftung oder die Umweltstiftung Greenpeace.
Weitere selbständige Regionalwert-AGs gibt es in der Region Isar-Inn, im Rheinland und seit Kurzem auch in Berlin-Brandenburg. In den Regionen Bodensee-Oberschwaben, Franken und im südlichen Niedersachsen sind weitere AGs des Modells in Vorbereitung. Die Idee breitet sich also aus!
Dazu kommt: Die Regionalwert-AGs arbeiten natürlich eng zusammen und stimmen sich bei der Weiterentwicklung des Konzepts ab. Gerade legen wir die Grundlage für eine Regionalwert-Ökonomie. Sie wird eine eigene Buchhaltung als Grundlage haben, in der die Betriebe soziale, ökologische und regionalökonomische Effekte ausweisen und berechenbar machen. Bislang geschieht das noch über Fragebögen und den jährlichen Regionalwert-Bericht an die Aktionäre.
Wie arbeiten sie denn selbst als AG?
Möglichst schlank natürlich. Wir haben nur zwei Mitarbeiter: die beiden Vorstände, derzeit mit jeweils einer Dreiviertel-Stelle. Wir arbeiten vom Home-Office aus, haben also keine Bürokosten. Malte Bombien kümmert sich als Agraringenieur um alle landwirtschaftlichen Dinge. Ich bin von Haus aus Kommunikationsmensch und übernehme die nachgelagerten Bereiche, also Lebensmittelhandwerk, Handel und Gastronomie. Das funktioniert ziemlich gut.
Was haben Sie als nächstes vor?
Unsere Aktionäre haben wvor drei Wochen die nächste Aktienausgabe beschlossen. Gerade haben wir den Wertpapierprospekt bei der Bafin eingereicht. Neue Aktien gibt es voraussichtlich im September, wir haben schon zahlreiche Reservierungen. Und natürlich auch schon die eine oder andere Finanzierungsanfrage von Betrieben. Parallel wollen wir unsere Aktivitäten bei der außerfamiliären Hofnachfolge weiter ausbauen. Das ist ein sehr wichtiges Thema, denn 70 Prozent der Bauernhöfe haben noch keinen Nachfolger.
Davor aber gibt es noch ein großes Highlight: Im August eröffnet in Hamburg eine Markthalle mit Gastronomie, die Hobenköök, die wir mitfinanziert haben. Dort werden in einem Rundum-Konzept regional-saisonale Lebensmittel angeboten. Davon sollen natürlich möglichst viele von unseren Partnerbetrieben kommen. Gerade läuft dafür noch ein Crowdfunding – mit vielen tollen Dankeschöns.
Herr Schönheim, vielen Dank für das Gespräch!
Dor ni för, wie man bei uns im Norden sagt. Ich danke Ihnen! Und noch ein kleiner Tipp: Die Regionalwert AG Rheinland ist auch gerade in der Aktienausgabe.