Hallo Marco, zunächst einmal vielen Dank für deine Zeit und deine Bereitschaft dieses Interview mit mir zu führen. Beginnend würde ich dich gerne bitten “Aponix” vorzustellen.
Cool, danke! Die vertikale Pflanztonne von aponix ist ein vertikales erdloses Kultur-System. Standard in der erdlosen Pflanzenproduktion sind NFTs (‘nutrient film technique’) oder Fluttische, die eine 2-dimensionale Fläche nutzen. Aponix erweitert dieses Konzept flexibel ebenso in die dritte Dimension. Anbaufläche wird von vorhandenen Quadratmetern auf die Oberfläche von einem oder mehreren vertikalen Zylindern (Tonnen) übersetzt, von denen die Höhe aber variabel ist. Es ergeben sich mehr Pflanzplätze mit zusätzlich genutzter Höhe.
Das System bietet mittlerweile viele verschiedene Komponenten an, mit denen man sehr verschiedene Farming-Setups aufbauen und betreiben kann. Allerdings kann man mit den Komponenten alleine noch nicht viel anfangen. Man benötigt zumindest Grundkenntnisse in erdlosen Kulturen und im Gartenbau, einen geeigneten Ort mit geeigneten Bedingungen für die Pflanzen und diverse Verbrauchsmaterialien. Die vertikale Pflantonne von aponix versteht sich als alternative Form für den erdlosen Anbau, die eine besondere Modularität bietet und für kleine und mittelgroße Anlagen mit Schwerpunkt Vertical Farming geeignet ist.
Wie seid ihr auf die Idee, die zur Gründung von “Aponix” geführt hat, gekommen?
Ich bin seit 1999 als IT-Freelancer als Anwendungsentwickler, quasi Systemhaus in einer Person selbständig. Nachdem ich eine IT-Firma verlassen hatte, die ich 2009 mit zwei Kollegen in Bad Homburg gegründet hatte, bin ich durch Zufall 2015 in die Urban-Farming-Szene in New York gerutscht und hatte dort einen ‘Neuer Markt’-Moment allerdings für hyperlokale Pflanzen und Urban-Farming. Zu diesem Zeitpunkt gab es etablierte Ausrüstung für Gartenbau auf großen Flächen und auch im Hobby-Segment – allerdings gab es keine kommerziell nutzbare Ausrüstung für kleinere Farmen im urbanen Raum. Zumeist wurden Regalsysteme benutzt, die mehr neue Herausforderungen schaffen, als sie tatsächlich lösen.
Außerdem hatte ich zu der Zeit als persönliches Projekt eine Aquaponik-Farm mit 100 Tilapia und einem 4000 Liter Wasserkreislauf aufgebaut und festgestellt, dass der Raum, den ich für die Pflanzen übriggelassen hatte, nicht ausreichen wird, wenn die Fische größer und hungriger würden. Ich habe mir dann genauer angeschaut, wie das im Großen mit erdlosen Kulturverfahren gemacht wird. Hierbei hat mir auch das lokale LVG Heidelberg (Landesversuchsanstalt für Gartenbau) geholfen. Die waren dann auch mein erster Kunde für den Prototyp.
Ziel war es den Industriestandard von 2D auf 3D in flexibel neu zu erfinden. Diese Reise ging dann als Newcomer in den Profigartenbau über den Betrieb eigener kleiner Farmen und mit Präsenz auf viele internationale Messen und Events, als Besucher, Aussteller und Speaker. Hier habe ich viele Freunde und Unterstützer gefunden und bin auch in das Thema Nachhaltigkeit und Smart Cities tiefer eingedrungen. Mittlerweile ist das ‚aponix vertical barrel‘ patentiert, in Serienfertigung und wird weltweit im Kleinen eingesetzt, siehe: https://aponix.eu/locations/. Zum Ende 2020 wird die ‘Version 3’ verfügbar sein und damit wäre auch der Schritt in die tatsächliche Kommerzielle Nutzbarkeit getan. Aponix ist diesen Weg komplett ohne VC oder Fremdkapital gegangen.
Welche Produkte und/ oder Dienstleistungen bietet ihr an und wie setzt sich der Preis der Produkte zusammen?
Die vertikale Pflanztonne besteht im Wesentlichen aus einem 1/6 Ringssegmentbauteil (das kostet 5EUR netto), das Standard 2-Zoll/5cm Netzttopf-Pflanzplätze bereitstellt. Man steckt mehrere Teile zu Ringen zusammen und kann diese dann beliebig hoch zu einer vertikalen Pflanztonne aufstapeln. Wieso gerade dieser Durchmesser? Zu der Zeit kamen ein paar ‚Tower‘-Lösungen auf den Markt, also mit deutlich geringerem Durchmesser. Jede Ebene ist hier aus einem Stück und man hat 4 Pflanzplätze je Ebene.
Da ich die Anzahl der Pflanzplätze im dreidimensionalen Raum aber maximieren wollte, war meine Überlegung eher, wenn wir den Durchmesser erhöhen, ob sich damit die Gesamtzahl der möglichen Pflanzplätze im Raum erhöhen bzw. maximieren ließe wenn wir uns viele, im Raum verteilte Pflanztonnen vorstellen würden. Das Optimum war dann der Umfang von 180cm (Durchmesser 180/Pi in cm = 57,3cm), jede 15cm eine Pflanze in der höchsten Dichte auf allen Tonnenoberflächen. Damit kommen wir bei gerade mannshohen Tonnen und großzügig breiten Wegen schon auf 60 Pflanzen pro Quadratmeter.
Mit noch weiteren Bauteilen wie Deckeln, Ständern und anderen Ringsegmentteilen ergeben sich verschiedene Möglichkeiten, mit den aponix vertical barrel Komponenten verschiedenartige Systeme für erdlose Kulturen aufzubauen. Es gibt auch eine Variante für Substrat- oder Mischlösungen. Insgesamt sind sehr verschiedene Lösungen in sehr verschiedenen Anwendungsbereichen mit den Komponenten denkbar. Hier könnt ihr euch einen Überblick über die Teile verschaffen. Zunächst gibt es zwei wichtige Entscheidungen zu treffen bei der Auswahl der benötigten Komponenten: a) Wie wird die Nährflüssigkeit verteilt und b) was soll dann mit der Nährflüssigkeit passieren, wenn sie nach der vertikalen Bewässerung das untere Ende der Tonne erreicht hat. Das könnt ihr auf dieser Seite genauer erfahren.
Aus der radikalen Form, einen oder mehrere vertikale Zylinder im Raum zu verteilen, ergeben sich einige weitere Eigenschaften für den Betrieb oder die Auswahl eines geeigneten Aufstellortes. Ein Nachteil war auch, daß es dadurch keine ‘Best Practice’ Setups gab, bei denen man Nutzern sagen kann, daß wenn sie die Komponenten auf eine bestimmen Art nutzen, daß dann ein sicherer Ertrag von x dabei herauskommen würde. Alle anderen Hersteller machten solche Angaben. Als wir 2017 die ersten Testreihen für Salat im LVG aufgesetzt hatten, haben wir gesehen, daß auch erfahrene Gärtner erstmal bei 50% solcher Angaben als Ertrag starten. An dem Punkt habe wir nur noch davon gesprochen, daß wir eine bestimmte Anzahl von erdlosen Pflanzplätzen garantieren und die Nutzer selbst dafür verantwortlich sind, die passenden Bedingungen für das Gedeihen ihrer Pflanzen zu schaffen.
Wenn ihr euch tiefer mit den Produktionsmethoden und noch weiteren Varianten beschäftigen möchtet, googelt mal nach CEA –‚ controlled environment agriculture‘.
Die Preiskalkulation geht bei uns immer nach den einzelnen Teilen, die wir in einer Teileliste erarbeitet haben. Die herauszufinden, ist immer die erste Aufgabe. Wenn Farmen geplant werden, beginnt das immer mit einem Ort in den die Ausrüstung eingeplant wird. Hier kommen viele weitere Funktionen hinzu sowie der notwendig Platz, um dann auch sinnvoll operativ zu sein und technisch auch so ausgestattet, daß man in der geplanten Jahreszeit auch produzieren kann. Bei größeren Farmen helfen ‚Turnkey‘ Ingenieure bei der Planung. Wenn man die Nerven dazu hat, kann man kleine Farmen kann man per Trial-and-Error aufsetzen. So habe ich es auch gelernt.
Als Beispiele haben wir auf der Website im Komponenten-Bereich ein paar ‚Bundles‘ der meist genutzten Varianten, in deren Beschreibung die jeweilige Teileliste hinterlegt ist.
Da wir weltweit noch an jeden versenden, der eine Anfrage sendet und die Menge an Teilen in den Bestellungen derzeit gerade größer wird, arbeiten wir hier immer mehr und enger mit unserem Hersteller in Heppenheim zusammen, wo die Teile auch hergestellt werden. Hier nutzen wir Lager- und Logistikkapazitäten mit. Plan ist, daß unsere Produktpartner einzelne Märkte mit zielgerichteten Anwendungen besetzen und dort eigenständig vollständigere Lösungen anbieten und vermarkten, die unsere Komponenten enthalten. Aber das nicht unter oder in unserem Namen (aponix vertical barrel), sondern unabhängig und selbständig. Dazu mehr in deiner nächsten Frage.
Ein neues Teil, das ich gerne noch erwähnen möchte, ist unser wiederverwendbarer Pflanzenhalter mit optionalem Rankgittereinschub. Im erdlosen Gartenbau werden zumeist einweg Netztöpfe verendet, bei denen man auch als Konsument immer das Problem hat, daß der Plastiknetztopf mit Wurzeln durchwachsen und schwer von der Pflanze trennbar ist. Deswegen haben wir eine neue Form des wiederverwendbaren Pflanzhalters erfunden, der auch in jedem anderen Hydro-System mit 5cm Pflanzplätzen verwendbar ist. Hiermit möchten wir auch ermöglichen, daß mit Rankgitter bestückt auch Zwergvarianten von Pflanzen mit Früchten oder Blüten wie Cannabis produzierbar werden.
Welche Zielgruppe habt ihr? Wie erreicht ihre diese, sprich welche Vertriebskanäle nutzt “Aponix”?
Nach ein paar Fehlschlägen mit ‚Distributoren‘ und Wiederverkäufern zusammen zu arbeiten haben wir uns ausschließlich für die Variante ‚Produktpartner‘-Kooperationen entschieden. Unsere Bauteile sind eigentlich Infrastruktur-Komponenten und durch die vielfältigen Möglichkeiten der Nutzung war es klar, daß wir nicht jede Lösung selbst anbieten können. Zudem wollten wir nicht, daß die einzelnen Teile zu einem Commodity werden und wir dann nur noch gegenseitig in Konkurrenz der nackten Teile stehen und dauernd Exklusivität verhandeln. Daher haben wir ein Regelwerk aufgesetzt, wie wir mit Produktpartnern zusammenarbeiten wollen und wie die Wirkung nach außen erwünscht ist, so daß zu jeder Zeit klar und deutlich ist: aponix-DE ist der OEM (original equipment manufacturer) der die aponix Komponenten liefert und Produktpartner X in Territorium Y bietet bspw. zwei Prosumervarianten mit Zubehör und eigenen eleganten Erweiterungen, Verbrauchsmaterial sowie Aufbauvideos, Service und Garantien unter seiner eigenen Marke und beispielweise in einer schönen Box verpackt an.
Wir helfen beim Engineering der Lösungen und designen sogar neue spezielle Bauteile für Produktpartner, die dann aber auch allgemein für alle Nutzer erhältlich sein werden. Mit aktiven Produktpartnern machen wir einmal jede Woche einen Video-Call, um uns die Fortschritte und Hemmnisse mitzuteilen. Ein erstes solches neues Bauteil aus einer solchen Zusammenarbeit ist unser Deckelständer, den wir für einen Produktpartner designt und in Serie gebracht haben, damit er die Tonnen auf einen Rotationsteller in seinem Cannabis-Schrank setzen kann. Damit vereinfacht er die Beleuchtung bei der Produktion.
Damit ist aponix-DE der einzige Anbieter, der ‚nackte Teile‘ liefert und diese vorzugsweise ab Werk auf Paletten. Mehr dazu auf dieser Seite: https://www.aponix.eu/product-partners/. Damit sind unsere Produktpartner unsere wichtigsten Kunden (B2B). Wir behalten uns vor, jederzeit Teile direkt zu Einzelprojekten mit eigenen Planern und Umsetzern zu liefern sowie wenn kein Produktpartner mit einer passenden Lösung in der Nähe einer Anfrage liegt, dann auch weiterhin individuelle Pakete zu senden. So gesehen, kann jeder jederzeit bei uns anfragen und Teile bekommen.
Abschließend würde uns sehr interessieren, welche Projekte und Ziele ihr für die Zukunft habt, sowie wie Initiativen und Unternehmen wie Aponix die Landwirtschaft von morgen verändern können?
Bis Ende 2020 bringen wir die ‚Version 3‘ als großen Meilenstein in die große Serie. Viele bestehende Nutzer haben bereits den Pflanzhalter mit dem Rankgitter vorbestellt. Da wir hier oft gefragt werden, wieso die Teile denn aus Plastik sind, werden diese neuen Teile auch immer ein Upcycling-Symbol, eine internationale Materialklassifikation und einen Text enthalten, wie wir uns das Handling nach den Nutzung der Teile vorstellen. Das Material ist von höchster Qualität und Beständigkeit (bspw. ASA) und ist auch nach der Nutzung weiterhin ein wertvoller Rohstoff. Es soll nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip in der Technosphäre gecycelt werden. Sortenrein hat es nach einem Zyklus die gleiche Qualität wie davor und könnte als Recyclat auch wieder als Rohstoff für neue aponix Bauteile genutzt werden. Bei unserem Hersteller ist das die Standard-Prozedur auch für jeglichen Verschnitt aus der Produktion. Dieses Thema ist uns wichtig und wir werden es künftig häufiger unterstreichen.
In 2021 möchten wir noch weitere Produktpartner für spezielle Lösungen gewinnen in verschiedenen entfernten Territorien und bei Leuchtturm-Projekten mit unserer Ausrüstung dabei sein. Das würde auch für weitere Sichtbarkeit sorgen.
Außerdem sind wir nebenbei immer mehr im sozialen/zivilen Bereich aktiv, da immer mehr Schulen die Themen Pflanzenproduktion und andere Bereiche aufgreifen und AGs oder Projekte in den Schulalltag mit integrieren. Hier wird das Bewußtsein geschaffen, wie die Dinge zusammenhängen und wirken, wie lokal produzierte pflanzliche Lebensmittel auf die eigene Gesundheit und die Umwelt wirken und das Ganze dann noch ästhetisch wirkt die Menschen verbindet und Spaß macht. Wir wollen aktiv an der Welt gestalten, in der wir und unsere Kinder gerne leben möchten.