Hallo Jens! Als erstes würde ich dich gerne fragen, worin genau die App „Alphabeet“ besteht und wozu sie dient.
Hallo Valérie, “alphabeet” ist Selbstversorgungs-App. Sie hilft Menschen, ihr eigenes Gemüse anzubauen. Mit alphabeet begleiten wir HobbygärtnerInnen durch das ganze Selbstversorgungsjahr. Beginnend mit der Beetplanung, über die Aussaat und Pflege bis hin zur Ernte und auf den Teller – also auch inklusive Verwertungs- und Kochtipps.
Man muss sich nicht unbedingt zu 100% selbst versorgen, sondern kann seinen Selbstversorgungsgrad auch im urbanen Lebensraum einfach erhöhen – z.B. durch ein paar Töpfe auf dem Balkon. Wir wollen dazu anregen, nicht nur zu kaufen und konsumieren, sondern sich sich auch mit seiner Ernährung näher auseinander zu setzen. Also wie das, was wir konsumieren, wächst, welche Pflege es braucht und wie lange es auch dauern kann, bis eine Pflanze Früchte trägt.
Ein großer Vorteil besteht nicht nur darin, dass die selbstgezogenen Pflanzen durch ihre Frische einen besseren Geschmack vorweisen. Durch das Gärtnern entwickelt man auch mehr Wertschätzung für Lebensmittel und ernährt sich bewusster, was meist zu einem besseren Gefühl für Regionalität, Saisonalität sowie einem Leben mit weniger Verpackungen führt. Wir wollen, dass Wissen über Pflanzen und Natur, das früher noch selbstverständlich war, wieder auflebt.
Wie seid Ihr auf die Idee gekommen, die zur Schaffung von „alphabeet“ geführt hat?
Wir sind alle passionierte Hobbygärtner und haben vor der Gründung von “alphabeet” schon andere Start-Ups gegründet. Mit Anfang 30 haben wir den Drang verspürt, etwas Sinnvolles im Bereich Ernährung zu tun. Denn dieses Thema geht uns alle auf dieser Erde an. Gestartet sind wir zunächst im Bereich Vertical Farming und haben dafür die Firma farmee gegründet. Dieser Markt war aber noch viel zu klein für unsere damalige Idee. Deshalb haben wir uns auf die Menschen konzentriert, die hobbymäßig Nahrung anbauen. Wir haben uns die Frage gestellt, wie man sie durch Software und Technologie unterstützen könnte.
Unsere Mission war von Anfang an, Nahrung möglichst nahe am Ort des Konsums zu erzeugen. Wir haben festgestellt, dass unser Alltag sehr digital stattfindet, aber für Pflanzen und deren Pflege wird Wissen fast nur in dicken Bücher angeboten. Dabei weiß ein Buch doch gar nicht, was bei mir im Garten los ist. Bei Recherchen haben wir herausgefunden, dass es in Deutschland 15 Millionen Hobbygärtner gibt, die regelmäßig im Garten aktiv sind. Viele davon sind unter 40 Jahre alt, die Content in Bezug auf ihre Hobbies digital konsumieren. Und dennoch gab es aus unserer Sicht keine gute Beetplanungs-Ap. Also haben wir uns der Sache angenommen, das “Urban Farming Meetup Stuttgart” ins Leben gerufen und mit der Community “alphabeet” entwickelt. Diese Gruppe fungiert bis heute als wichtige Unterstützung bei der Entwicklung, als Testgruppe und als Kontaktöglichkeit zu NutzerInnen.
Seit Februar 2020 ist “alphabeet” in den App-Stores und wurde bereits weit über 10.000 Mal heruntergeladen.
Auf die Kritik, dass Gärtnern und das Smartphone nicht zusammen passen, weil der Garten kein Ort für Technik ist, sagen wir immer: “Sei im Garten statt am Smartphone”! Die App dient lediglich als Kommunikationskanal, um den Leuten zu sagen was diese Woche in ihrem Garten zu tun ist. Gärtnern dürfen und sollen sie aber bitte selbst. Wir sind zu 100% der Meinung, dass man den Garten als Rückzugsort zum Stressabbau und zur Entschleunigung sehen soll. Die App bietet genau dafür eine gute Unterstützung.
Warum sollte man seine Gartensaison planen?
Man sollte seine Gartensaison planen, um den gärtnerischen Erfolg zu erhöhen. Gerade Anfänger starten oft mit viel Motivation, aber dann funktioniert meist irgendwas nicht und sie geben auf, weil sie denken sie hätten eben keinen “grünen Daumen”. Das können wir verhindern, indem wir bei der Auswahl der richtigen Pflanzen, dem Verbessern der Bodenqualität und der Anordnung der passenden Pflanzennachbarn helfen. Die vorausschauende Planung hilft, eine reiche Ernte zu erhalten, denn eine gute Planung ist ein wichtiger Teil des Hobbygärtnerns, welchen man sich normalerweise über Jahre aneignet. Dies bedeutet nicht, dass alles direkt beim ersten Versuch mit Hilfe unserer App gelingt, schließlich gibt es in der Natur viele Variablen und das ist ja auch das Schöne daran. Doch durch die gebotene Assistenz, Begleitung und Hilfestellung wird eine erfolgreiche Ernte sehr viel wahrscheinlicher.
Könntest Du uns etwas genauer erklären, wie die App Schritt für Schritt funktioniert?
Durch das Begleiten durch das gesamte Gartenjahr und dadurch, dass der/die NutzerIn uns sein/ihr Ziel und seine/ihre Situation schildern kann, können wir entweder einen unserer Muster-Beetpläne anbieten oder einen individuellen Beetplan erstellen. Zudem gibt es noch die Funktion des “Zauberstabs”. Dieser kann freie Flächen im Beet mit passenden Pflanzen so auffüllen, dass eine gute Nachbarschaft für die gewünschten Pflanzen berücksichtigt wird. Somit entsteht ein individueller Saisonkalender, der dem/der NutzerIn sagt, wann welche Pflanzen vorzuziehen, einzupflanzen und wie sie zu pflegen sind. Diese Daten über Pflegehinweise bis hin zur Hilfe bei Schädlingsbefall kommen aus unserer intelligenten Pflanzendatenbank. Jeder Nutzer bekommt somit wöchentlich oder täglich die Antwort auf die Frage: “Was ist gerade in meinem Garten zu tun?”
Zudem gibt es die Möglichkeit, bei Problemen unsere Community zu fragen. Diese besteht aus allen anderen App-NutzerInnen sowie unseren zertifizierten ExpertInnen, z.B. AgrarbiologInnen oder GartenbloggerInnen.
Welche Ziele und Projekte verfolgt Ihr für die Zukunft? Wie seht ihr die Ernährung in der Zukunft?
In der Entwicklung momentan legen wir den Fokus auf die weitere Hilfe bei der Verwertung der Pflanzen durch Rezeptvorschläge sowie auf die soziale Komponente von alphabeet, also den Ausbau der Community, da die Beetplanung nur einen kleinen Teil des Gartenjahres darstellt. Wir wollen den NutzerInnen die Mehrwerte des Nutzpflanzenanbaus über das ganze Jahr verteilt näherbringen, zum Beispiel durch Tipps und Hilfestellungen zum Anbau von Kräutern oder zur Animierung zum Pilze sammeln, aber auch Tipps zum Einkochen etc.
Wir verfolgen immer noch unsere Mission. Den leider hat sich unsere Gesellschaft geografisch und emotional vom Ursprung unserer Nahrung entfernt. Damit meine ich, dass wir in den Supermarkt gehen und dort alles im Überfluss kaufen können – fast unabhängig von Herkunft oder Saison. Dies führte dazu, dass ein Großteil unserer Gesellschaft das Bewusstsein von Saison und Wachstum der Nutzpflanzen verloren hat. Auch wenn man bewusst Bio-Produkte beispielsweise einkauft, kann es sich um importierte Bioprodukte handeln, die bei uns in Deutschland beispielsweise zum Kaufzeitpunkt nicht wachsen. Also ist es wichtig auch bei Bio-Produkten möglichst saisonal und regional einzukaufen. Durch das Gärtnern entwickeln die Menschen häufig eine größere Wertschätzung für ihre Ernährung.
Es ist uns wichtig, dass es sich nicht um ein “du darfst nicht” handeln soll, sondern darum dass man durchs Gärtnern wieder positiv auf mehr Selbstversorgung und die Saisonalität unserer Nahrung zurück findet. Außerdem sehen wir auch indirekte Wirkung durch Wissenszuwachs in Bezug auf die Saison und ein Stück weit Selbsterkenntnis im Gärtnern, welches durch unsere App unterstützt wird. Durch diese Entwicklung wollen wir auch den Austausch zwischen Generationen anregen, da wir davon überzeugt sind, dass das gesellschaftliche Statussymbol von morgen kein dickes Auto, sondern ein nachhaltiger Lebensstil ist.
Ich danke dir für deine Zeit und wünsche dir und Alphabeet alles Gute für die Zukunft!
Podcast mit Jens Schmelzle: https://leif-ahrens.com/episodes/066-true-business-von-jens-schmelzle-eine-berraschende-lsung-fr-das-ernhrungsproblem-der-menschheit/